Die Weber (Foto: Peter Awtukowitsch)

 Die Weber (Foto: Peter Awtukowitsch)

 Die Weber (Foto: Peter Awtukowitsch)

 Die Weber (Foto: Indra Nauck)

 Die Weber (Foto: Indra Nauck)

 Die Weber (Foto: Indra Nauck)

 Die Weber (Foto: Indra Nauck)

 Die Weber (Foto: Indra Nauck)

 Die Weber (Foto: Indra Nauck)

 Die Weber (Foto: Indra Nauck)

 Die Weber (Foto: Indra Nauck)

Die Weber

„Die Weber“ von Gerhart Hauptmann

Premiere am Theater Plauen Zwickau am 16.5.13

Regie: Marie Bues, Austattung: Heike Mondschein und Indra Nauck, Musik: Anton Berman, Video: Elmar Szücs, Dramaturgie: Janine Henkel

Mit: Julia Bardosch/Henriette Grützner, Else Hennig, Julia Rani/ Elisa Überschaer, Johanna Steinhauser, Marsha Zimmermann, Gabriele Triems, Daniel Koch, Johannes Lang, Michael Schramm, Dieter Maas/Boris Schwiebert, David Moorbach, Benjamin Petschke.

Hauptmann, bekanntester Vertreter des deutschen Naturalismus, thematisiert in seinem bedeutendsten Drama von 1893 das Schicksal und die Not der schlesischen Weber. Vorlage für dieses Stück waren die mit militärischer Gewalt  niedergeschlagenen Weberaufstände des Jahres 1844. Auch heute stellt sich die Frage, ob der eigenen Hände Arbeit noch ausreicht, um sich eine Lebensexistenz zu sichern. Bei Hauptmann werden die Auswirkungen des Weberelends aus der Perspektive verschiedener betroffener Familien dargestellt. Die Weber liefern im Hause des Fabrikanten Dreißiger ihre Arbeit ab und nehmen ihren Hungerlohn entgegen. Gedrückt wird der Lohn zusätzlich vom Angestellten Pfeifer, früher selbst Weber, der die Ware bemängelt und jeden Vorschuss ablehnt. Der in die Heimat zurückgekehrte Reservist Moritz Jäger begeistert die an ihrer Lage verzweifelnden Weber mit dem verbotenen revolutionären Dreißigerlied (Weberlied) und die angeheizte Stimmung schlägt in Aktion um. Die Aufständischen dringen plündernd und zerstörend in Dreißigers Villa ein und zwingen ihn und seine Familie zur Flucht. Dabei wird Pastor Kittelhaus, ein Verfechter der bestehenden Verhältnisse, bei dem Versuch, die rasende Masse zu besänftigen, misshandelt. Nach der Gefangennahme Moritz Jägers befreien ihn die aufständischen Weber, verprügeln die Polizisten und ziehen zur nächsten Revolte ins Nachbardorf. Der alte Weber Hilse missbilligt die Aufstände und bleibt an seinem Webstuhl sitzen. Unterdessen rückt das Militär gegen die Weber vor, die Soldaten beginnen zu schießen.

Presse:

„Der Hummer in der Textilrevolte
von Tobias Prüwer
( nachtkritik.de)
Plauen, 16. Mai 2013. „Das dürfen die nicht, oder?“ Der Satz einer High-Society-Lady angesichts der aufständischen Textilarbeiter, die die Party stören, könnte auch an Marie Bues gerichtet sein. Denn die Regisseurin reißt im Plauener Theater „Die Weber“ in eineinhalb Stunden herunter. Mit ordentlich Tempo und Furor geht es durch alle fünf Akte. Bevor Puristen aufstöhnen: Ihre Version bleibt erstaunlich nah am Werk und fällt doch ganz anders aus als das klassische Bühnenwerk. Denn Bues übt sich nicht nur in radikaler Reduktion, sondern mixt Gerhart Hauptmanns Sozialdrama mit einer Gegenwartskritik ausbeuterischer Textilherstellung.
Beginn mit Ermüdungserscheinungen und Arbeitsunfällen
Schon beim Eintreten des Publikums bebt die Bühne unter dem Rhythmus der Arbeit. Neun Werktätige stöhnen in einem Fabrik-Ambiente, wie man es aus Dokumentation über die Bekleidungsindustrie aus Indien und Bangladesh kennt, unter der Fließbandproduktion. Sie stehen an langen Tischen, schneiden Stoffe zu, nähen T-Shirts und verpacken diese für den Export. Menschenschinder Pfeifer überwacht ihr Tun. Mittels Projektion werden Straßenumfragen mit Plauener Bürgern gezeigt, die ihre Einkaufsgewohnheiten schildern. Minutenlang lang hält diese roboterartige Szene an. Man sieht Ermüdungserscheinungen, kleine Arbeitsunfälle. Die Last der Tätigkeit wird offenkundig, noch bevor diese Weber beginnen, sich über die Arbeitsbedingungen und ihren Niedriglohn zu beschweren.
Bues holt „Die Weber“ plastisch ins Heute, rutscht aber nicht ins Plakative ab. Das gelingt, weil sie im Großen und Ganzen sowohl an Hauptmanns Figuren wie seiner Sprache festhält. Auch hier bricht ein Junge erschöpft zusammen und die beschwichtigenden Worte des Fabrikanten Dreißiger mussten gar nicht aktualisiert werden. Seine Beschwörung des verantwortungsvollen Unternehmertums klingt noch immer glaubhaft hohl, wohl auch, weil sie ähnlich zynisch ausfällt wie das gegenwärtige Mantra von der Gerechtigkeit in der Leistungsgesellschaft. Auch alle anderen Anker in der Handlung bis hin zum Sturm der Dreißiger-Villa sind vorhanden. Allmählich aber überdreht sich die naturalistisch gestartete Inszenierung und gewinnt einen Touch von Revuetheater.

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Rhythmisch zuckender Leib der Produktionsmaschine
„Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch – wir weben hinein den dreifachen Fluch“: Mit Megaphonen wird das aufrührerische Weberlied, es ist Heinrich Heines „Die Leineweber“, intoniert. Einige weitere Sang- und Tanzeinlagen folgen. Das Fest der Fabrikantenfamilie mutiert zum Supermodelwettbewerb, bevor ihn Molotow-Cocktails und Baseballschläger sprengen. Wie ein Politaktivist seilt sich der rote Bäcker auf die Konsumtempel gewordene Bühne hinab und kappt ein riesiges Werbeplakat.
Insbesondere Else Hennig besticht als Kapitalist Dreißiger. Sie stellt ihn als ein schrill-auftrumpfendes It- oder Material-Girl in floral gemustertem Kostümchen dar, das seine Angestellten auch als kühl kalkulierende Circe einfach niederschreit. Auch die Frauen sind keine besseren Führungskräfte, so die Botschaft. Manchmal überschlägt sich der Verve des Ensembles zu sehr, fallen Momente unter undifferenziertem Lärm leicht in sich zusammen. Aber das ist mit etwas Feinabstimmung reparabel. Stark hingegen zeigen sich die Elemente von Sprech- und Körperchor, wenn sich die Weber bildhaft zum rhythmisch zuckenden Leib der Produktionsmaschine vereinen und in kleinen Choreografien zum kraftvollen Kollektiv mit deutlicher Wut verschmelzen.
Kritische Unterhaltung mit groteskem Ende
Die Regisseurin schafft mit dem forschen Rundumschlag zwischen Aktualisierung und – nicht zuletzt von den Rechteverwaltern immer wieder eingeforderter – Nähe zum Werk den Spagat. Ihre Inszenierung gönnt sich keine Atempause und erdrückt doch weder Darsteller noch Publikum mit überbordenden Regieeinfällen. Gesellschaftskritik und Unterhaltung fügen sich so seltsam gut zusammen. Grandios groteske Züge nimmt das Stück an, wenn es im hoffnungslosen Ende mündet.
Der Zertrümmerer aller revolutionären Utopie, der alte Hilse, kommt im roten Hummerkostüm daher. Eben noch als Delikatesse in der Mitte des Dreißiger-Banquetts thronend, atomisiert Johanna Steinhausers unter einer Wortkanonade die Zuversicht der entschlossenen Webergemeinschaft. Mit einem Text David Foster Wallaces probt das agile Maskottchen mit den Scherenhänden den Aufstand des Hummers. Wie durchgeknallt rasselt sie die das Leiden des Schalentieres im Kochtopf als Parabel auf das Menschenleiden in den Zuschauerraum. Um hernach dem anschwellenden Revoluzzergesang Zeilen des Ex-Linken und neuerdings Besitzstandswahrers Wolfgang Pohrt – „Kapitalismus Forever“ – entgegenzuschleudern. Dann sprechen die Gewehrläufe. Auch hierin ist Bues texttreu.“

Leiden wie der Hummer im Topf

von Lutz Kirchner (Freie Presse)

„Plauen. Packendes Theater der Gegenwart – frisch, mit Biss und voller neuer Musik – hat seinen Platz im Theater Plauen-Zwickau. Wen quält das Schicksal des Hummers? Das ist seit Donnerstagabend die Frage bei Maries Bues Sicht auf Gerhart Hauptmanns Sozial- und Mitleidsdrama: Johanna Steinhauser, besetzt als der „alte Hilse“, steckte zur Premiere im Vogtland-Theater in einer krebsroten Kapuzenjacke. Oben ragen Antennen raus. An den Händen trägt sie Scheren aus Plüsch. Um die Taille windet sich eine Schärpe. Sie ist ein Wrap mit Krebsfleisch.

Der Hummer wird lebend ins kochende Wasser geworfen, rezitiert die Darstellerin – das geht nahe. Sie wird von Mitspielern abgewürgt, fällt scheinbar aus der Rolle, schimpft, klagt, springt virtuos zurück. Weiter im applizierten Text des amerikanischen Autors David Foster Wallace: Das Tier winde sich im Todeskampf wie ein Mensch. Das Schaben und Kratzen im Topf schlage auf den Magen. Beim Gastmahl in der Villa des Fabrikanten Dreissiger, vor deren Toren sich die verhungernden Weber zusammenrotten, um alles kurz und klein zu schlagen, Möbel und Menschen, sollte der Hummer nach seinem letzten Tanz den großen Auftritt haben. Wer Vorspiegelungen erliegt, Geiz als geil empfindet, hängt mit drin, macht sich so schuldig wie Feinschmecker am Quälen der Schalentiere – so die Assoziation.

Das zum Himmel schreiende Elend der schlesischen Weber um 1840 ist nicht aus der Welt. Das macht Marie Bues‘ auf eine anderthalbe Stunde geraffte Inszenierung des ungleich umfangreicheren Stoffes von 1893 klar. Die Not ist nun in Bangladesch zu Hause, in Indien, China, den Billiglohnländern.

Das zeigt auch das im Stil heutiger Textilfabriken gehaltene Bühnenbild von Indra Nauck. Tapeziertische vorn, hinten die nackten Wände des Bühnenhauses. Mit Vorhängen wandelt sich der Ort später zum Laufsteg und zum Vip-Bereich. Dort hinein baute die Regisseurin schrille Satiren auf TV-Formate wie den Model-Zirkus der Mode-Heroine Heidi Klum. Der Gegenwart abgeschaute Kostüme von Heike Mondschein zielen in die selbe Richtung. Sie verpackte die Weberinnen ebenso in Arbeitskleidung wie später in eigenwillige Roben.

Großartig druckvoll und wandelbar trat zur mit viel Applaus bedachten Premiere das gesamte Ensemble auf. Else Hennigs Fabrikantin Dreissiger erschien beispielsweise von derart erschreckender Brutalität, dass bei ihren schrillen Hasstiraden Zuschauer wohl noch oben auf den Rang-Plätzen zusammenzuckten. Julia Bardosch rührte als Not leidende Mutter ebenso wie Marsha Zimmermann und Julia Rani. Mit Kraft und Durchsetzungsvermögen begeisterten David Moorbach als der rote Bäcker und Benjamin Peschke als Moritz Jäger. Michael Schramm zeigte den Leuteschinder Pfeifer derb und frei von Gewissen.

Daniel Koch und Johannes Lang sowie Boris Schwiebert führten das Leiden der Weber in ebenso rührendenSzene vor Augen. Anton Berman hat dafür ungemein treibende Musikstücke geschrieben. Das Weberlied aus Heinrich Heines Feder erscheint bei ihm in moderner Rhythmik, mal aggressiv rappend, dann wie weich gespült: „Im düsteren Auge keine Träne, sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne …“

Für die Westsachsen-Bühnen hat Marie Bues damit eine weitere ungewöhnliche Arbeit abgeliefert. Mit Hermann Hesses „Der Steppenwolf“ sorgte sie beispielsweise für Aufsehen. Künftig muss nach Stuttgart fahren, wer ihre Handschrift sehen will. Sie übernimmt die Intendanz des dortigen Theaters „Die Rampe“ und will auch der Off-Szene und alternativen Gruppen Raum geben.

„Die Weber“ in Gerhart Hauptmanns Sozialdrama wagen um 1844 in Schlesien einen Aufstand gegen Lohnverfall und schamlose Ausbeutung. Der Leuteschinder Pfeifer drückt im Dienst des Fabrikanten das Entgelt der Weber, die bittere Not leiden und sich nach Hungerjahren in panische Angst um ihre physische Existenz getrieben sehen. Zuerst wagt einer der Weber Widerspruch: „der rote Bäcker“, wie er genannt wird. Nach und nach wächst die Verbitterung. Die Weber stürmen schließlich die Villa des Fabrikanten, schlagen alles kurz und klein. Das Ende kommt mit dem Einsatz von Militär. Schüsse knallen.“

Trailer: http://youtu.be/cf1mr_k1gzo