Bataillon (Foto: Heike Mondschein)

 Bataillon (Foto: Heike Mondschein)

 Bataillon (Foto: Heike Mondschein)

 Bataillon (Foto: Heike Mondschein)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

 Bataillon (Foto: Christian Kleiner)

Bataillon

Von Enis Maci

Uraufführung

Nationaltheater Mannheim, Premiere: 24.1.2020

Regie: Marie Bues, Ausstattung: Heike Mondschein, Musik: Christine Hasler, Dramaturgie: Anna- Sophia Güther, Licht: Björn Klaassen

Mit: Sophie Arbeiter, Annemarie Brüntjen, Johanna Eiworth, Otiti Engelhardt, Carina Thurner

Ein Hochhaus steht verloren im Niemandsland, Flechten wuchern an den Betonkanten des Gebäudes, in dessen Innerem eine ganze Welt zusammenkommt: Im Keller sitzen Weberinnen und arbeiten an Tarnumhängen aus Kartoffelsäcken, Lumpen, Fischernetzen für einen Krieg, der viele Schauplätze hat: den Balkankrieg etwa, den Krieg in Syrien oder auch den Körper der Frau. Im Friseursalon ein paar Stockwerke höher schäumt Monica Lewinsky einer Fremden, die bald hier einziehen wird, den Kopf ein. Ada Lovelace, die britische Mathematikerin, die als erste Programmiererin bezeichnet wurde, kommt vorbei, Elisabeth Mann Borgese, aber auch Penelope, die Frau des berühmten Odysseus‘. Eine Greisin putzt ihr Gewehr. Zwei Kühlschränke kommunizieren miteinander. Die Ränder der Gegenstände verformen sich. Da sind Erinnerungen – wem gehören sie?

https://www.nationaltheater-mannheim.de/de/schauspiel/stueck_details.php?SID=350

Enis Maci, Hausautorin der Spielzeit 2018/19 und »Nachwuchsdramatikerin« der Jahre 2018 sowie 2019 (»Theater Heute«), entwirft in ihrem Auftragswerk für das NTM eine postapokalyptische Zukunftsvision, deren einzelnen Geschichten kunstvoll miteinander verwoben sind. Mit einem Panorama von ausschließlich weiblichen Stimmen, die dem antiken Mythos ebenso entspringen wie unserer aktuellen Lebenswelt, entwickelt sie einen Gegenentwurf zur vorrangig männlichen Geschichtsschreibung.

Mit ihrem Sinn für kräftige Symbolik hilft Bues dem Stück aber auch. Sie setzt Ankerpunkte, ohne die man im Textstrom des „Bataillon“ sonst die Orientierung verlieren würde. Von den träumenden Maschinen, die sich Ada Lovelace vorstellte, landet der Text über wenige Links bei den Bildern, die vom Tod des Diktatoren-Paars Ceausescu blieben. Die Zuschauer erfahren, dass eine Flechte nicht aus zwei Organismen, sondern aus drei besteht (und sich an die bröckligen Betonränder des Hochhauses krallt). Sie hören vom Schicksal verstoßener weiblicher Verwandter römischer Kaiser und dass man im Hochhaus die Botschaften mit Scheiße an die Wand schmiert.

Presse:

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An die Utopie, eine neue Erzählung weben zu können, glaubt die Uraufführungs-Regisseurin Marie Bues allerdings weniger als der Text es tut. Bues baut etwa Johanna Eiworth als Concierge einerseits ein ins Kollektiv und den Textstrom der Weberinnen. Andererseits treibt die Concierge diese auch als Mischung aus Gouvernante und Offizierin (im stramm geschnittenen grünen Outfit) an. Eiworth hat in dieser Rolle die Strenge einer Frau, die sich im männlichen Umfeld durchsetzt, indem sie das Spiel der Männer mit größerer Härte spielt.

Das passt auch zur Regie-Idee, auf der ansonsten kargen Bühne nach und nach Bauteile für einen Do-It-Yourself-Panzer aus dem Boden fahren zu lassen. Die Frauen fertigen daraus einen verspiegelten Glitzer-Tank: Die Swarovski-Version eines Kriegsgeräts – aber eben immer noch ein Kriegsgerät. Dass sie ihr Werk dazu noch putzen wie man es aus Carwash-Szenen in Musikvideos von Macho-Rappern kennt, steht sinnbildlich für die Schwierigkeit, beim Weben einer neuen Erzählung von dominierenden Mustern abzuweichen.

Im Laufe der anderthalb Stunden der Aufführung stellen sich beide Extreme ein, die man vom Umhersurfen im Internet kennt: Freude über die Entdeckungen, die man beim Weiterklicken macht. Und das Völlegefühl, wenn man sich beim Informationen aufschnappen verrannt hat. Diese flirrenden Längen im Stück fängt Regisseurin Bues mit Liebe zum Detail auf. In den Schilderungen von Elisabeth Mann-Borghese über Polarlichter fällt einem plötzlich auf, dass die Schauspielerinnen im Grün- und Blauton eben jener „Aurea Borealis“ ausgestattet sind. Dass laut Elisabeth Mann-Borghese dieses Schauspiel nur auf ihren Fotografien erkennbar war und ihre Freundinnen nicht glauben wollten, dass es live eher grau wirkte, unterstreicht die Kernaussage des Mannheimer „Bataillons“: eine etablierte Wirklichkeit in Frage zu stellen und neu zu weben ist eine Sisyphus-Arbeit.

Als Kritiker kann man die Symbolik der Farbgebung aber auch umdeuten: Aus dem textlich vorgesehenen schauspielerischen Graubrot eines Gruppenauftritts mit wenig eigenen Akzenten haben die Darstellerinnen (als gemeinsamer „Organismus“) in der Wirklichkeit der Bühne einen schillernden, witzig-skurrilen Auftritt gemacht. Die Zuschauer*innen haben es nicht als Webfehler empfunden.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wir-sind-es-nicht-du

“Es sind Weberinnen (Sophie Arbeiter, Annemarie Brüntjen, Otiti Engelhardt, Carina Thurner), die – allesamt in derselben Kleidung – zu Beginn von Marie Bues’ Inszenierung auf einem Gerüst sitzen und zum Publikum reden. Sie haben viele Namen: Mal gibt sich das Quartett als Gottheit Kikimora, mal als Penelope aus. Nachdem der griechischen Mythologie zufolge ihr Mann Odysseus ins Abenteuer aufbricht, versuchen verschiedene Freier, sie für sich zu gewinnen. Um sie fernzuhalten, gibt Penelope vor, erst ein Totentuch für ihren Schwiegervater Laertes anfertigen zu müssen. Was sie tagsüber schneidert, trennt sie des Nachts wieder auf. Überdies bezeichnen sich die vier Protagonistinnen, die erzählerisch von einer älteren Concierge des Wohnhauses (Johanna Eiworth) begleitet werden, auch als Flechte. Als Vereinigung aus Pilzen und pflanzlichen Lebensformen ist sie Inbegriff eines symbiotischen Daseins.

Reichlich verwirrend mutet diese Mixtur aus alten Sagen, Naturbeobachtungen und Anspielungen auf den ersten Blick an. Trotzdem eint die von Sprüngen und Abschweifungen geprägte Suada des Chors ein zentrales Momentum, nämlich das des Verwebens.

Gleichwohl stimmt Bataillon keinen bloßen Lobgesang auf das Wir an. Das Urteil fällt differenzierter aus. Was die Sprecherinnen auch weben, sind Tarnnetze für Soldaten. Zwischen den vielen Puzzleteilen der Aufführung bildet der Krieg eine Konstante. Am eindrücklichsten wird dessen Präsenz in einem Panzer (Bühne: Heike Mondschein), den die Figuren vor den Zuschauern zusammenbauen. Einmal fährt er sogar bei rotem Licht und an den Herzschlag erinnernden Beats auf das Publikum zu. Die Botschaft ist klar: Das Verknüpfen von Wissensfäden führt nicht nur zu friedlichem Fortschritt, es kann durchaus auch schlechten Zwecken dienen. Neben „Wäscherinnen“ und „Schwätzerinnen“ begegnen uns mit den Frauen auf der Bühne stets auch Erfinderinnen. Reflektiert wird von ihnen neben militärischen Innovationen mitunter noch das Lochkartensystem, dessen binärer Code sowohl für die Entwicklung des heutigen Computers als auch zur Kategorisierung von KZ-Häftlingen genutzt wurde.

Als die Protagonistinnen sich einmal im Panzer aufhalten, sehen wir sie via Handkamera auf ein überdimensionales weißes Tuch projiziert. Sie tragen Mundschutz und haben Skalpelle in den Händen. Währenddessen erzählt die auf dem Panzer sitzende Concierge von einer erhöhten Krankheitsrate unter Frauen bei ausbleibenden Schwangerschaften. Ironisch unterlegt wird die groteske Szene durch die Rede von vermeintlich wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Körper der Frau, die jedoch reine Fakes sind.

Gekoppelt sind an die feministische Kritik ebenso kulturkritische Betrachtungen der spätmodernen Medienlandschaft. Kurzerhand und mit galligem Sarkasmus stellen die fünf Schauspielerinnen auf der Bühne die Erschießung des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu nach und ziehen die Aufnahmen von der Hinrichtung in Zweifel. Die Bilder seien erst im Nachhinein künstlich inszeniert worden. Die Fäden – um im Bild zu bleiben – wickeln sich chaotisch um den Planeten. Wo sie beginnen und wo sie enden, wer sie wann und wo zusammengefügt hat, vermag man oftmals nicht mehr nachzuvollziehen.

Die gern genutzte Phrase „Alles hängt mit allem zusammen“ eröffnet hier somit ein spannendes Problemfeld, wie Bues’ avancierte Inszenierung eines starken Textes beweist. Selten ist Theater so ingeniös und intellektuell fordernd wie an diesem Abend. Die Mischung aus filigraner Sprachästhetik, die souverän sämtliche Diskurse miteinander verwebt, und präzisen Bildern schafft Bewusstsein für global gewachsene Strukturen, die zu erfassen der Individualismus nicht genügt.”