How to sell a murder house (mit Nicki Liszta)
„How to sell a murderhouse“ von Sibylle Berg
Ein getanztes Immobilienportfolio, Deutsche Erstaufführung
Premiere: 24.3.17, Theater Rampe im Eiermann Areal in Stuttgart Vaihingen,eine Koproduktion von Theater Rampe und Backsteinhaus Produktionen
Regie und Choreografie: Marie Bues und Nicki Liszta, Ausstattung: Claudia Irro, Dramaturgie: Hannah Schwegler, Musik: Kat Kaufmann
Mit: Ariel Cohen, Niko Eleftheriadis, Isabelle Gatterburg, Ariadna Girones Mata, Karolina Horster, Jan Jaroszek, Annett Kruschke, Winston Reynolds
In Stuttgart-Vaihingen liegt auf einem leicht hügeligen Gelände die ehemalige Hauptverwaltung des Unternehmens IBM Deutschland. Egon Eiermann, Star-Architekt des deutschen Wirtschaftswunders, entwarf 1972 das Areal als noch heute beeindruckende filigrane, funktionale und detaillierte Architektur voll soliden Handwerks. Die Bauwerke standen inmitten von schönem Baumbestand, inselartig direkt am Autobahnkreuz Stuttgart. Doch nach dem Auszug von IBM im Jahr 2009 drohte dem Gelände der Verfall, die Natur und der vandalische Mensch wucherten mitten hinein in diese Gebäude von internationaler Bedeutung.
Und heute? Aktuell ist der Garden Campus Vaihingen, wie das Eiermann Areal seit der Übernahme durch die Gerch Group offiziell heißt, ein städtebauliches Vorzeigeprojekt für die Stadt Stuttgart: Hier soll ein neues Stadtquartier entstehen. Grund genug, Eiermanns Zeugnis vergangener Arbeitswelt und dann lange Zeit bedrohtes Architekturdenkmal noch einmal ganz anders zu überschreiben. Zu fiktionalisieren. Zu vertanzen!
Mit Sibylle Bergs Theaterstück HOW TO SELL A MURDER HOUSE – EIN GETANZTES IMMOBILIENPORTFOLIO imaginieren die Regisseurin Marie Bues und die Choreografin Nicki Liszta drastische Erkundungen der Wirklichkeit: Während unten die Stadt im Bürgerkrieg versinkt, rettet sich ein Mann in das leer stehende Haus auf dem Hügel als letzten Zufluchtsort. Doch auch hier oben lassen sich der Wahnsinn der Großstadt, die Krise der Firmen- und Finanzwelt und das Versagen des weißen, westlichen, heterosexuellen Mannes nicht aufhalten … Mit diesem abgrundtief-bösen und zugleich traurig-komischen Horror-Trip ist eine Deutsche Erstaufführung der Autorin Sibylle Berg, deren Stücke „Hund, Frau, Mann“ (2001) und „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ (1999) bereits am Theater Rampe uraufgeführt wurden, nach langer Zeit wieder am Theater Rampe zu erleben.
http://theaterrampe.de/stuecke/how-to-sell-a-murder-house/
Presse:
„Tanz den IBM
Ein Brief von Star-Architekt Egon Eiermann: Er stichelt gegen das Ansinnen der IBM-Oberen, seinem Gebäude Vorhänge zu verpassen. Die Geschäftsleitung wolle wohl vermeiden, beim In-der-Nase-Popeln oder beim Zeitunglesen gesehen zu werden. Vorhänge vermitteln eine wohnliche Atmosphäre, die Eiermann für ein Bürogebäude unpassend findet. Er empfehle daher Rollos. Ob die Direktoren von IBM bei der Einrichtung ihrer Deutschland-Zentrale diesem Ratschlag von Eiermann gefolgt sind, ist heute nicht mehr ersichtlich.
Performenceparcours durchs IBM-Großraumbüro
Das nach dem Architekten benannte Areal steht leer – keine Vorhänge, keine Rollos in den 2009 verlassenen, markanten Vierecken. Annett Kruschke und Niko Eleftheriadis stürmen jedenfalls achtlos an der Dokumentation der Architektenbriefe vorbei. Sie, als Karikatur einer Maklerin, preist das Gebäude gleich als perfekten Wohnraum an – mit den besten Argumenten, die man bringen kann in der Kunst des „How to sell a murder house“. Das Endzeit-Stück von Sibylle Berg haben das Theater Rampe und der Schauspiel- und Tanz-Kompanie „backsteinhaus produktion“ an einen Ort verlegt, der für das laut Untertitel „getanzte Immobilienportfolio“ kaum geeigneter sein könnte. Sibylle Berg hat mit ihrem Horrortrip eine satirische Volte u.a. gegen die Firmen- und Finanzwelt geschrieben. Regisseurin Marie Bues verschmilzt diesen Ansatz kongenial mit dem Ort. Es passt so gut. Auf einer ironischen Ebene: Kürzlich hat ein Investor das Areal gekauft und will es vermarkten. Der Kapitalist hat Interesse an Öffentlichkeit, das Berg’sche Anti-Kapitalismus-Stück kommt gerade recht. Und ganz praktisch: Bues verknüpft den Text ohne viel Zusatz perfekt mit der IBM-Geschichte. In einem Großraumbüro erzählt Ariel Cohen die Geschichte „ihres“ Großvaters, der kurz nach der Pensionierung starb, weil er den Jobverlust nicht verkraftete. Dazu tanzen die Zuschauer mit ihr eine Gruppenchoreo zu Musik aus dem IBM-Songbook. Es dient der Mitarbeiterbindung. Einen Raum weiter, neben der Rohrpost und um die Ecke der Farbfolienausgabe, entwirft Jan Jaroszek mit Verve die Erfolgsvision künftiger Geschäftsfelder auf der Basis einer amerikanischen Firmen-Familienkultur. Dazu wirft er einen sehnsüchtigen Blick nach draußen. Bäume überwuchern das Areal, an dem ebensolche Visionen gescheitert sind. IBM hat sich inzwischen anderswo angesiedelt, deutlich verkleinert. Die Tristesse der Firmenwelt, wie sie Menschen deformiert – kaum intensiver lässt sie sich zeigen als an einem Ort, der architektonisch etwas ganz Anderes versprach und nun verfällt.
In der Fake-Ökonomie
Die Choreografin Nicki Liszta lässt ihre Tänzer sich diese Räume im Sinne des Stückes aneignen. Hüpfend verlieren sie sich in der leer geräumten Mensa, der Teppichboden schluckt ihre Bewegungsgeräusche. Die Schauspieler deklamieren derweil Sibylle Bergs Idee einer Fake-Ökonomie, in der alle nur noch so tun, als wären sie produktiv, obwohl der Laden längst auseinandergefallen ist. Aus der Lautsprecheranlage über dem Menüaushang tönen Statistiken über Selbstmordraten.
Isabelle Gatterburg treibt das Publikum als Krähe rasch weiter und splittet es auf. In Einzelperformances durchlaufen die Zuschauer in verschiedenen Räumen parallel die Versatzstücke von Bergs Werk. Das ist logistische Notwendigkeit bei einer Gruppe, die größer ist als Büros aufnehmen können. Der performancehafte Charakter der Inszenierung passt aber auch zum non-linearen Aufbau des Stücks. Die abenteuerhafte Aneignung von Raum und Werk durch die Zuschauer bringt dem Abend zudem Leichtigkeit. Voll Entdeckerdrang sieht man über den holzschnittartigen Gestus von „How to sell a murder house“ hinweg. Im Tal toben Plünderer, auf dem Berg wird im Text das „Versagen des weißen, westlichen, heterosexuellen Mannes“ verhandelt. In einer unlustigen Vehemenz, die einen auch als homosexuellen, nicht ganz betroffenen Zuschauer sagen lässt: Komm, lass stecken. Im Eiermann-Campus hingegen sagt man innerlich „pack aus“ zu Niko Eleftheriadis, der zwischen Feuerlöschern auf dem Boden von der ultimativen Niederlage eines Mannes erzählt – ausgelacht von der Frau, die er sich von einer russischen Webseite bestellt hat.
Nacktes Schauspiel in Ultra-Nahaufnahme
Währenddessen klettert Ariel Cohen als ebendiese Frau aus einem Loch in der Wand, entblättert sich und erzählt beim Gang durch die Reihen ihre Version von der Geschichte – den Busen eine Handbreit entfernt vom Publikum. Zwei Vollblutschauspieler in der absoluten Nahaufnahme im perfekten Gruselsetting für einen Mord wegen „Lost in Gender-Translation“. Auf dem Gang wirft derweil ein Tänzer seine Partnerin äußerst erotisch an die Wand und zu Boden. Egon Eiermann wäre sicher fasziniert gewesen, welche große künstlerische Kraft sich aus seinem Werk ziehen lässt. Dem Investor des Areals schwebt übrigens ein spießig benannter „Garden Campus“ vor. Irgendwas mit Edel-Wohnen und stylishen Büros. Die Schauspieler – außer der armen Sau, die sich die Immobilie als Wohnfestung hat aufschwatzen lassen – fliehen am Ende in einem Old Economy Uralt-Chrysler. Sie machen den Ort gerade hip, werden dort als Künstler bald aber keinen Platz mehr haben. Noch so eine schön-böse Ironie. Sie hätte auch aus der Feder von Sibylle Berg stammen können.“ Nachtkritik
„(B)ei der Premiere von ‚How to sell a Murder House‘ folgen 90 Zuschauer den Schauspielern und Tänzern hinein in das Labyrinth der Architektur- und Industriegeschichte. Die Gänsehaut bleibt dort nicht aus“, schreibt Thomas Morawitzky in den Stuttgarter Nachrichten / Stuttgarter Zeitung (26.3.2017). „Die Tänzer bewegen sich zuckend durch die Gänge, erstarren in unmöglichen, dämonischen Posen, gefrieren am Kaffeeautomaten.“ Ausstatterin Claudia Irro habe nur geringfügig eingegriffen, ins entleerte IBM-Ambiente. „Viele Fenster in den großen, dunklen Gebäudekomplexen sind erleuchtet; Menschen sprinten hastig über Balkone, stürzen sich in die Tiefe.“ Abschließend fragt Morawitzky: „Will man leben, will man Zuflucht suchen in einem Mörderhaus?“ Zumindest werde man in dieser Nacht vom Vaihinger Eiermann-Campus träumen.
Beeindruckt zeigt sich auch Angela Reinhardt in der Esslinger Zeitung (28.3.2017): „Zu einer lakonisch-bedrohlichen Musik von Kat Kaufmann haben Bues und Liszta samt ihren unsichtbaren Helfern einen faszinierenden Irrgarten kreiert, dessen unheimlichste Rolle vielleicht doch das verlassene Hauptquartier einer Weltfirma spielt.“ Ihr doppeldeutiges Fazit: „Warm anziehen!“