Edward Snowden steht hinterm Fenster und weckt Birnen ein
„Edward Snowden steht hinterm Fenster und weckt Birnen ein“ von Daniel Mezger
Uraufführung von Bues/ Mezger/Schwabenland
Koproduktion mit dem Schlachthaus Theater Bern und Theater Rampe Stuttgart
Auf der Shortlist fürs Schweizer Theatertreffen 2018
Text: Daniel Mezger, Regie: Marie Bues, Ausstattung: Heike Mondschein, Video: Elvira Isenring, Dramaturgie: Martin Bieri, Technik: Tonio Finkam, Produktionsleitung: Annette von Goumoëns
Mit: Katharina Behrens & Dennis Schwabenland, Live-Musik: Christine Hasler
Trailer: https://youtu.be/2zqBWjIHtsY
Lindsay Mills posiert leichtbekleidet vor Sonnenuntergängen, räkelt sich an der Stange, hat kein Problem sich zu zeigen, hängt nur leider im Einfamilienhausexil fest mit ihrem Freund. Der kann gerade nicht weg aus Moskau. Deshalb hat sie nun die Wahl zwischen Einfamilienhauspärchenexil oder Skypen über schlechte Internetverbindungen. Und ach ja: der Freund heisst Edward Snowden.
Nach Als ich einmal tot war und Martin L. Gore mich nicht besuchen kam, macht sich Bues/Mezger/Schwabenland nun an Teil zwei der Trilogie der Freiheit – und stellt verspielt aber auch schonungslos die Frage: Wie verändert sich Intimität im Zeitalter der globalen Vernetzung und der permanenten Überwachung?
Presse:
„Marie Bues hat bei der Uraufführung Regie geführt. Sie hat das Theater Rampe gemeinsam mit Martina Grohmann zu einem erfolgreichen Produktionshaus für zeitaktuelles Autorentheater und neue Formate entwickelt. Bues und Grohmann sind gewiefte Netzwerkerinnen, die mit zahlreichen Kollektiven und Theatern kooperieren. Mitte des Monats bringen sie am Staatstheater Karlsruhe gemeinsam mit der Akademie Schloss Solitude schon das nächste Stück heraus – über Datenmüll.
„Edward Snowden steht hinterm Fenster und weckt Birnen ein“ wurde mit zwei Schweizer Bühnen koproduziert und ist ein Stoff, der passgenau auf das Rampe-Publikum zugeschnitten ist, das sich stark verjüngt hat. In einem Stangenwald versucht Katharina Behrens als Lindsey ihr neues Leben zu sortieren. Eifersüchtig beäugt sie im Fernsehen die Journalistin Sarah Harrison, die Snowden begleitet. Sie hätte ihre Liebe „in Einmachgläser stopfen sollen“, sagt sie und versucht in Kontakt mit dem abgetauchten Ed zu kommen.
Gekonnt verknüpfen Bues und Mezger die Beziehung des Whistleblowers mit aktuellen Themen. Freiheit versus Verbundensein, virtuelles Erleben anstelle von realem Kontakt. Fernsehbilder werden eingeblendet, während beiläufiges Rauschen, Fiepsen und Knistern an die stete Überwachung erinnert. Mezger hat Mills den geheimnisvollen Nachbarn Armin (Dennis Schwabenland) an die Seite gestellt, Mitarbeiter eines Nachrichtendienstes – oder vielleicht auch nur ein armer Tropf, der mit einem Bot liiert ist, einer Frau, hinter der ein Computerprogramm steckt. „Keiner versteht mich so gut wie sie.“
Selbst dem Saugroboter, der so putzig über die Bühne schnurrt, ist nicht zu trauen, seine indiskreten Aufnahmen im Hause Snowden werden als Videos eingespielt. Und so wird keineswegs nur die fiktive Beziehungskiste erzählt, sondern durchgespielt, auf welche Herausforderungen sich die Liebe in der virtuellen Zukunft wird einstellen müssen. Mezgers Prognose ist ernüchternd. Snowdens Enthüllungen, heißt es, hätten für Deutschland „in jedem Fall etwas gebracht“. Die zahllosen Spielarten der Überwachung seien inzwischen legalisiert.“ Süddeutsche Zeitung
„Eine fiktive Annäherung an eine reale Person ist erst mal ein schwieriges Unterfangen. Zu häufig wird das bereits medial vermittelte Bild zementiert, während alles, was darüber hinausreicht, eine Behauptung bleibt. Eine Gefahr, die auch hier besteht. Bei der Gruppe aber, die in ihrer letzten Produktion Dave Gahan porträtiert hat, den Sänger von Depeche Mode, führt die Geschichte von Lindsay Mills weiter. Sie wird zur Erzählung über eine Gesellschaft, die sich gleichermassen nach Freiheit und Nähe sehnt, wobei das eine Bestreben zwangsläufig unter dem anderen leidet. Das ist nicht unbedingt eine neuartige Zeitdiagnose – wird sie aber so klug auf die Bühne gebracht wie hier, geht das leicht vergessen. Regisseurin Marie Bues verdichtet Daniel Mezgers ohnehin sprachmächtiges Stück noch weiter: Drei hochformatige Screens sind Mills’ und unsere Fenster zur Welt, auf denen Snowden mal als Protagonist des Dokumentarfilms «Citizenfour» zu uns spricht, mal als Kopf in den News auftaucht oder über miese Internetverbindungen seine Freundin kontaktiert (Video: Elvira Isenring).
Wunderbar anschaulich wird das in Armins Monolog, in dem er Snowden als Verräter bezichtigt, aber nicht als Verräter am Staat, sondern an ihm, dem Nerd, der wegen Snowden auf einmal ungewollt im Rampenlicht steht. Dort ist es ihm gar nicht wohl; das führt Dennis Schwabenland brillant vor, der den massigen Armin mit einer fast schmerzhaften sozialen Ungelenkigkeit ausstattet.
Die Berner Musikerin Christine Hasler unterlegt das Bühnengeschehen derweil mit einem atemlosen elektronischen Soundtrack und hisst an den Stangen diverse Länderflaggen. Sie erinnern an das globale Ausmass von Snowdens Enthüllungen, während Lindsay Mills allmählich hinter tief hängenden Fahnen verschwindet. Ihre Welt ist auf einmal klein geworden. Was ihr bleibt, ist ihre eingemachte Liebe. Ein Staubsaugerroboter, ein flackernder Bildschirm. Und Instagram.“ Der Bund